BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Radioaktivität aus Tagebauen

Durch die Tagebautätigkeiten wird das natürliche Gleichgewicht gestört. Tochternuklide der natürlich in der Kohle und dem Abraum vorkommenden radioaktiven Stoffe werden über den Feinstaub und das Sümpfungswasser in die Umwelt freigesetzt. Grafik: BG Niederzier

Während die Problematik der Feinstaub-Belastung durch den Tagebau inzwischen erkannt wurde, gehört die Radioaktivität aus den Tagebauen noch immer zu den verschwiegenen Gefahren. Weithin bekannt ist, dass Kohlekraftwerke nicht unerhebliche Mengen an radioaktiven Isotopen ausstoßen. Auch die Problematik radioaktiv belasteter Grubenwässer aus Steinkohlezechen wird seit langem diskutiert. Dass aber auch die Braunkohlentagebaue zur "strahlenden Gefahr" werden können, wird bisher kaum öffentlich diskutiert. Nachdem der BUND und die BG Niederzier das Thema öffentlich gemacht hatten, hatte NRW-Umweltminister Johannes Remmel einen Expertise zum Thema eingeholt. Danach liege "keine relevante Belastung" der Bevölkerung vor.  Allerdings ist bemerkenswert, dass die Radon-Belastung im Rhein-Kreis-Neuss überdurchschnittlich hoch liegt. Insofern könnte sich die Entwarnung als verfrüht erweisen. Der BUND fordert weitere Untersuchungen.

Die natürliche Radioaktivität ist im Rheinland eigentlich kein Problem. Erst mit den Braunkohlentagebauen wird sie zum potenziellen Risiko. Über die Feinstäube und das Sümpfungswasser gelangen die radioaktiven Isotope ebenso in die Umwelt wie über die Kraftwerke. 

Natürliche Radioaktivität im Tagebau

Uran und Thorium sind natürlich in der Erdkruste vorkommende radioaktive Metalle. Ihr geogenes ("erdbürtiges") Vorkommen beträgt je nach Beschaffenheit des Untergrundes im Mittel 2-3 g Uran/t bzw. 12-15 g Thorium/t. Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich aus Gründen der Vereinfachung nur auf das Uran-238. Zöge man noch Thorium-232 und dessen Zerfallsprodukte hinzu, ergäbe sich daraus noch ein potenziell größeres Risiko.

Nach Angaben des Bergbaubetreibers RWE Power AG beträgt die Uran-Konzentration in der Braunkohle und im Abraum jeweils etwa 0,25 g Uran/Tonne. Dies bedeutet z.B. für den Tagebau Hambach, dass bei Gewinnung von 40 Millionen Tonnen Kohle und 240 Millionen m³ Abraum (Dichte mit 1,3 angenommen) im Tagebau Hambach innerhalb eines Jahres ca. 88 Tonnen Uran abgebaut, verfrachtet, zum einen Teil verkippt und zum anderen Teil der Verbrennung zugeführt werden.

Im Braunkohlenrevier des Rheinlandes werden pro Jahr etwa 460 Millionen Tonnen Abraum - d.h. Kiese, Sande und Tone – bewegt, um knapp 100 Mio. t Braunkohle zu fördern.

Eigenschaften der radioaktiven Stoffe

Das natürliche Uran-238 liegt meist als Uranoxid, eingeschlossen in Silikat-Molekülen, vor - also z.B. in Sanden und Kiesen. Wird das Material nicht bewegt, ist es ziemlich ortsfest und wenig reaktiv.

Jedoch bleiben radioaktive Elemente wie das Uran-238 nicht in ihrer ursprünglichen Menge bestehen. Durch den radioaktiven Zerfall gemäß ihrer Halbwertzeit sind im Laufe der Erdgeschichte viele weitere radioaktive Stoffe entstanden. Diese Radionuklide (Zerfallsprodukte) liegen zuerst als Elemente vor.

Die aktuell vorhanden Konzentration im Boden hängt allerdings davon ab, wie schnell ein Stoff in andere Stoffe weiter zerfällt und, ob diese am Ort des Zerfalls bleiben oder wegen ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften von Wasser gelöst und transportiert werden oder z.B. versickern können.

Es sind bei den Zerfallsprodukten grob drei Stoffgruppen/Stoffe zu unterscheiden: Schwermetalle (wie Uran, Thorium, Palladium, Blei usw.), das Element Radium als Erdalkalimetall (und damit verwandt mit dem lebenswichtigen Calcium) und das Edelgas Radon (verwandt mit den Edelgasen Helium, Neon und Argon).

Giftige Schwermetalle: Schwermetalle sind im Allgemeinen giftig. Wenn sie mit schwach sauerem Wasser in Berührung kommen (z.B. ergibt Regenwasser mit Kohlendioxid Kohlensäure), dann gehen sie in Lösung und können vom Wasser fortgeschwemmt werden. In Wasser gelöst können sie auch gut vom Körper aufgenommen werden.

Reaktionsfreudiges Radium: Radium ist als unedles Erdalkalimetall sehr reaktiv und damit gut wasserlöslich. Nur in kalkhaltigem Wasser kann es eine, in Wasser schwer lösliche Form bilden, die sich (an anderer Stelle) anreichern kann. Besonders kritisch sind Situationen zu betrachten, in denen bei Wasseransammlungen am Boden dieses längere Zeit stehen bleibt, bevor es abgepumpt wird. Hier kann es durch Absetzen von Aufschlämmungen zu einer deutlichen Anreicherung von Radium-226 kommen. Wegen der Verwandtschaft mit Calcium kann der Körper Radium in den Knochen einbauen, wo dann die ionisierende Strahlung wirksam wird.

Bewegliches Edelgas Radon: Radon als Edelgas ist sehr beständig und es existieren nur sehr wenige chemische Verbindungen. Allerdings ist Radon das schwerste von allen Edelgasen und fällt damit etwas aus der Reihe. Besonders auffällig ist seine gute Löslichkeit in Wasser. Bei 25 °C lösen sich in einem Liter Wasser 224 cm3 (von Sauerstoff lösen sich z.B. bei 25 °C nur 28 cm3 in Wasser). Je tiefer die Temperaturen sinken, desto besser wird die Löslichkeit von Gasen in Wasser. Bei 0°C lösen sich 510 g Radon in einem Liter Wasser. Die ausgeprägteste Eigenschaft des Radons ist seine gute Haftung an Kohle (die Filtereigenschaft und Aufnahmefähigkeit von Aktivkohle wird z.B. bei der Trinkwasseraufbereitung genutzt). Früher wurden Edelgase aus Luft gewonnen, in dem man sie an Aktivkohle anlagerte und dann durch Erwärmen nach und nach von der Kohle wieder abtrennte, denn die Adsorbierbarkeit der Edelgase an Aktivkohle nimmt mit steigendem Atomgewicht stark zu.

Feinstaub als "Träger" radioaktiver Isotope

Feinstaub ist an sich schon extrem gesundheitsschädlich. Lagern sich hingegen zusätzliche radioaktive Isotope an die lungengängigen Partikeln an, wird er erst recht zum Gesundheitsrisiko.

So besteht z.B. die ausgeprägteste Eigenschaft des radioaktiven Zerfallsproduktes Radon-222 in seiner Adsorptionsfähigkeit an Kohle (s.o.). Dieser Alpha-Strahler mit einer Halbwertszeit von ca. 4 Tagen kann damit über den im Tagebaubetrieb unvermeidlich austretenden Kohlestaub in den menschlichen Organismus gelangen. Damit besteht die bislang völlig außer Acht gelassene Gefahr, dass radioaktive Partikel aus den Braunkohletagebauen ihre zerstörerische Wirkung nicht nur bei den im Tagebau Beschäftigten entfalten, sondern alle Anrainer einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt werden.

Tagebau und Radioaktivität

Solange die Erdoberfläche und die geologische Schichtung mit ihrer Grundwasserlandschaft unangetastet ruhen, ist die natürliche Radioaktivität wohl ein zu vernachlässigendes Problem (laut geologischem Institut der Universität Bonn misst man im Rheinland 40 – 80 kBq/m3 Bodenluft). Erst wenn ein Braunkohlentagebau eine riesige offene Fläche quer zu den Erdschichten schafft, kann das Radon austreten und sich am Grund der Grube sammeln. Das Abpumpen des Grundwassers setzt den Wasserhaushalt vertikal in Bewegung. Die Luftzufuhr fördert die Oxidation der Schwefelverbindungen und damit die Versauerung des Grundwassers. Der offene Transport der Braunkohle auf den kilometerlangen Förderbändern, das Trocknen an der Luft (besonders intensiv bei Sonneneinstrahlung) und die offene Lagerung in Kohlebunkern fördern die Staubbildung.

Es ist anzunehmen, dass das Radium-226 (ein Zerfallsprodukt des Urans) als leicht lösliche Substanz mit dem Grundwasser in tiefere Schichten absickert, da viele Sümpfungsbrunnen von dort das Grundwasser heben, um den Tagebau trocken zu halten. Auf dem Weg zerfällt es weiter in Radon-222.

Weiter kann sich das Gas Radon nach oben bewegen. Es dringt in die Bodenkapillaren, Gesteinsspalten und ggf. in eine über dem Gestein liegende Kohleschicht ein. So kommt es zur Anreicherung von Radon-222 an Kohle.

Das Argument, dass Radon nicht ausschließlich als "freies" Edelgas, sondern bei dem immensen Überschuss an Kohlepartikeln in der Atmosphäre über Braunkohletagebauen als Aerosol eingeatmet wird und in Abhängigkeit von der Partikelgröße in verschiedenen Bereichen des Atemtraktes verbleibt, wurde von der BG-Niederzier in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht. Somit sind nicht nur die Radon-Folgeprodukte (Polonium, Blei und Wismut), sondern auch das Radon selbst mit zu berücksichtigen.

Die Strahlenexposition der Menschen im Bereich der Tagebaue ist abweichend von der üblichen Betrachtungsweise auch an diesem Punkt neu zu beurteilen.

Zusätzliche Strahlenbelastung in und um die Tagebaue

Das Forschungszentrum Jülich hat die Alpha-Aktivität im Niederschlagsrückstand kontinuierlich erfasst. Die Darstellung (siehe Abbildung rechts) zeigt eine deutliche Korrelation der steigenden Aktivitätskonzentration mit dem Aufschluss des Tagebaus. Während danach die mittlere Nachweisgrenze von 1,07 Bq/g zwischen 1975 und 1980 nicht einmal überschritten wurde, liegt dies nach 1988 dauerhaft z.T. deutlich darüber. Der Vergleich der Gesamt-Alpha-Aktivität im Umwelt des Tagebaus Hambach liegt danach z.T. höher, als in den ostdeutschen Uranbergbaugebieten.

Die BG-Niederzier hat im Januar 2003 den auf einer Terrasse in unmittelbarer Nähe des Tagebaus Hambach (Kohlebunker) niedergeschlagenen Staub alpha-spektrometrisch untersuchen lassen. Die Probe ergab eine Polonium-210-Aktivität von 0,08 Bq/g. Zum Vergleich: Dieser Wert liegt weit über den in der Strahlenschutzverordnung zur so genannten „uneingeschränkten Freigabe“ festgesetzten Grenzwerten.

Neben dem Rauchen gilt Radon als die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs. Die größte Gefahr für die Lunge ist nicht die Inhalation des radioaktiven Edelgases Radon an sich, sondern die Inhalation seiner kurzlebigen, nicht mehr gasförmigen Zerfallsprodukte (Polonium-218  bis Wismut-214). Diese radioaktiven Zerfallsprodukte von Radon lagern sich an festen Partikeln (Feinstäuben) an und können deshalb, wenn sie eingeatmet werden, relativ lange in der Lunge verbleiben. Dort führt die Abscheidung dieser Zerfallsprodukte in erster Linie zu einer intensiven Strahlenbelastung des Bronchialepithels.

 

Bisherige Radon-Messungen sind keine Unbedenklichkeitsbescheinigung

In Deutschland existieren zurzeit keine verbindlichen Regelungen, die Radonmessungen in Wohngebäuden, in der Bodenluft oder im Wasser vorschreiben. Allerdings wurde das Radonproblem in Teilbereichen schon vielfältig untersucht.

Für die Radonmessungen im Umfeld von Bergbauanlagen wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) ein passives Messsystem auf der Basis von Festkörperspurendetektoren eingesetzt. Danach lässt sich ein bergbaulicher Einfluss in der näheren Umgebung z.B. der Industriellen Absetzanlage (IAA) Helmsdorf nachweisen. Dicht an der Quelle betrug die Radonkonzentration zwischen 40 und 75 Bq/m3 und in 900 m Entfernung noch 20 bis 40 Bq/m3. Das lässt den Schluss zu, dass sowohl im Tagebau selbst als auch in einer Entfernung bis zu 1 km (je nach Windstärke auch darüber hinaus) mit erhöhter Radon-Belastung gerechnet werden muss.

Die bisher vorgenommenen Radonmessungen zeigen, dass es infolge bergbaulicher Maßnahmen zur zusätzlichen Freisetzung von Radon-222 kommen kann.

Das Hauptproblem dieser Messungen besteht aber darin, dass wegen der Methodik nur die Radonkonzentrationen in der Luft erfasst werden. Vor dem Eintritt in die Messkammern werden Aerosole – und damit auch die an den Feinstaub gebundenen Radionuklide Radon-222 und dessen Zerfallsprodukte – herausgefiltert und so gezielt von der Messung ausgeschlossen.

 

Zusätzliche Radioaktivität stoppen

Jedes künstlich in die Biosphäre gelangte radioaktive Isotop ist eines zuviel. Die tagebauinduzierte Radioaktivität ist in der Fachwelt schon seit langem ein Thema. Umso unverständlicher ist es deshalb, dass dieses Thema im Rheinland bislang keine Rolle spielte. Dieses eklatante Versäumnis muss umgehend beseitigt werden, um weiteren Schaden von der Bevölkerung abzuwenden.

Die zuständigen Aufsichtsbehörden (Umweltministerium, Landesumweltamt, Bezirksregierung Arnsberg Abt. 8 Bergbau und Energie in NRW, Bergamt Düren) sind verpflichtet, ein flächendeckendes Untersuchungsprogramm zur Bestimmung der Aktivitätskonzentrationen der Uran- und Thorium-Isotope sowie von Radium-226, Radon-222, Polonium-210 in der Kohle, dem Abraum und dem Sümpfungswasser aufzulegen. Dieses Messprogramm muss sich auch auf das so genannte Ausgleichs- oder Ökowasser und die zur Verfüllung des Tagebaus eingesetzten Fremdstoffe erstrecken.Daneben ist zu untersuchen, wie hoch die entsprechenden Aktivitätskonzentrationen im Aerosol und dem Niederschlag im Tagebau und den umliegenden Wohngebieten sind. Dabei sind auch die Emissionen der Braunkohlenkraftwerke inklusive der deponierten Kraftwerksaschen zu berücksichtigen.Insbesondere müssen dieAktivitätskonzentratioinen von Rn-222, Pb-210 und PO-210 in den emittierten Stäuben bzw. in der Atemluft bestimmt werden.

Umweltminister gibt Entwarnung

Landesumweltamt und Öko-Institutlegt abschließende Bewertung vor

29.11.2013 | "Durch den Braunkohlentagebau liegt keine relevante Belastung der Bevölkerung aufgrund von Radioaktivität vor." Das ist das Fazit von Landesumweltminister Johannes Remmel, der - ausgelöst durch Hinweise des BUND und der BG Niederzier - entsprechende Untersuchungen in Auftrag gegeben hatte.

Die Untersuchungen des Landesumweltamtes (LANUV) belegen allerdings auch, dass es einen Zusammenhang zwischen der Feinstaubmenge und der Höhe der Alpha-Aktivität gibt. Allerdings, so das Landesumweltamt, liege diese in allen untersuchten Fällen in Höhe der natürlichen Schwankungsbreite. Die radioaktive Aktivität des Feinstaubs werde maßgeblich durch die globale Hintergrundbelastung und durch die unterschiedliche Zusammensetzung des Feinstaubs in Abhängigkeit vom geogenen und zivilisatorischen Umwelt beeinflusst.Das Öko-Institut kommt in einer Stellungnahme zu dieser Studie zu dem gleichen Ergebnis.

Bestätigt wird, dass die Inhalation des Feinstaubs durch die radioaktiven Inhaltsstoffe, insbesondere von Polonium 210, zu einer Belastung des menschlichen Körpers führt. Ein Argument mehr, die Feinstaubbelastung im Braunkohlenrevier weiter zu senken.

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