BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen
Die Ortslage Lützerath im Februar 2023. [Foto; Arend Dechow]

1 Jahr nach Lützerath: Neue Daten stellen energiepolitische Notwendigkeit der Räumung in Frage

Am 11. Januar 2023 begann die Räumung des Dorfes Lützerath. Begründet wurde die Räumung seitens der Landesregierung vor allem damit, dass die Braunkohle unter dem Dorf zur Sicherung der Energieversorgung in den Folgejahren notwendig sei. Doch was schon damals bezweifelt wurde, wird nun bestätigt: eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit für die Zerstörung Lützeraths dafür gab es nicht.

Symbol der Klimabewegung sollte verschwinden

Die Ortslage Lützerath im Februar 2023. [Foto: Arend Dechow] Die Ortslage Lützerath im Februar 2023. [Foto: Arend Dechow]

Heute ist klarer denn je: die Erzählung, wonach die Kohle unter Lützerath dringend zur Sicherung der deutschen Energieversorgung vor allem auch im Krisenjahr 2023 benötigt würde, lässt sich nicht länger aufrechterhalten. Den im Regierungsgutachten prognostizierten „sehr hohen Bedarf“ an Braunkohlenstrom für 2023 hat es nicht gegeben. Stattdessen war gegenüber 2022 ein Rückgang von etwa 30 Prozent zu verzeichnen. Damit ist auch klar: Lützerath sollte weichen, um ein Symbol der Klimabewegung zu beseitigen. Eine energiewirtschaftliche Rechtfertigung für die Räumung gab es nicht. Das belegen die aktuell (Januar 2023) vom Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE) auf der Plattform www.energy-charts.info veröffentlichten Jahreskennzahlen für die RWE-Braunkohlenkraftwerke.

Der Deal zwischen Bund, Land und RWE zum vorzeitigen Kohleausstieg vom Oktober 2022, der letztlich die Räumung und Zerstörung Lützerath besiegelte, fußte maßgeblich auf einem von der Gesellschaft BET zusammen mit der landeseigenen Gesellschaft NRW.Energy4Climate (E4C) erstellten Gutachten. Danach sollte vor allem in den Jahren ab 2023 der jährliche Bedarf an Braunkohlen die abgeschätzten maximal möglichen Fördermengen ohne Inanspruchnahme von Lützerath deutlich überschreiten. Als Begründung wurden der russische Angriff auf die Ukraine und die damit ausgelöste Gaskrise angeführt. Das war schon damals von unabhängigen Energieinstituten (DIW Berlin, Aurora Energy Research) bezweifelt worden.

Deutlich zu hohe Kraftwerksauslastung unterstellt

BET/E4C haben eine unrealistisch hohe Auslastung der neueren Braunkohlenblöcke (BoA) von deutlich über 7.000 Volllaststunden pro Jahr prognostiziert. Tatsächlich lag die Vollaststundenzahl in 2023 nur bei einem Kraftwerksblock (Niederaußem K) bei über 70 %, was etwa 6.100 Vollbelastungsstunden entspricht. Die BoA-Blöcke Neurath F und G lagen bei Auslastungen von 51 bzw. 65 Prozent (4.468 bzw. 5.694 h).

Auch für die anderen Kraftwerksblöcke in Neurath und Niederaußem war von BET/E4C für die nächsten Jahre bis 2025 von einer hohen Auslastung von über 6.000 Vollbenutzungsstunden ausgegangen worden. Die tatsächlichen Zahlen für 2023 zeigen hingegen auch davon deutliche Abweichungen nach unten.

Die durchschnittliche Auslastung aller Neurath/Niederaußem-Blöcke lag gerade einmal bei 49,6 Prozent. Das entspricht 4.730 Vollbenutzungsstunden. Die Auslastung der Braunkohlenkraftwerke wurde von BET/E4C deutlich überschätzt.

Strommengen für 2023 wurden massiv überschätzt

Für die Kraftwerksblöcke in Neurath und Niederaußem, die aus den Tagebauen Garzweiler und Hambach versorgt werden, wurde für 2023 eine Stromerzeugung von 44,1 TWh prognostiziert. Tatsächlich lag sie bei 26,5 TWh und damit auch etwa 30 % unter der Stromerzeugung des Vorkrisenjahres 2021. Die Prognose fußte also auf falschen Annahmen.

Andere Gutachter hatten hingegen offenbar realistischere Rahmenbedingungen für ihre Kraftwerkseinsatzsimulationen angesetzt. Mögliche Einflussfaktoren wie die Entwicklung der Gaspreise, der Zuwachs an Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien oder die wirtschaftliche Entwicklung spielen letztendlich eine große Rolle. Deshalb wäre es umso wichtiger gewesen, sich nicht auf ein einziges Gutachten zu stützen, sondern mehrere zu Rate zu ziehen.

Dementsprechend wurde auch der Braunkohlebedarf aus den Tagebaue Garzweiler und Hambach massiv überschätzt. BET/E4C gingen für 2023 von einer Fördermenge deutlich über 30 Millionen Tonnen aus. Tatsächlich gingen die Fördermengen  - korrespondierend mit der Stromerzeugungsmenge - gegenüber dem errechneten Szenario deutlich zurück.

Auch wenn Lützerath damit vorschnell zerstört wurde, ist das natürlich für den Klimaschutz eine gute Botschaft. Pro Terawattstunde Strom die eingespart wird reduzierten sich (bei dem Kraftwerksmix aus alt und neu) auch die Kohledioxidemissionen um 1 Mio. Tonnen.

Die Räumung und Abbaggerung der Ortschaft Lützerath im Rheinischen Braunkohlenrevier beruhten auf unzutreffenden energiewirtschaftlichen Prognosen. Den krisen- und kriegsbedingt starken Anstieg des Kohlebedarfs gab es nicht. Dass sich ein solcher in den Folgejahren einstellen wird, ist mehr als fraglich.

Aus energiewirtschaftlicher gab es deshalb keinen Grund zur Räumung Lützeraths im Januar 2023. Der gigantische Polizeieinsatz zur Durchsetzung der RWE-Interessen wäre also vermeidbar gewesen.

Letztendlich konnte die RWE Power AG die Situation nutzen, um Fakten zu schaffen. Funktionierende Windenergieanlagen im Tagebauvorfeld wurde abgerissen, die wichtige Verbindungsstraße zwischen den Ortschaften Keyenberg und Holzweiler zerstört.

Landesregierung muss sich ehrlich machen

Letztlich wurde damit auch eine ergebnisoffene Diskussion der Frage, in welchem Maße eine Landinanspruchnahme zur Materialgewinnung für die Restlochgestaltung und Rekultivierung notwendig ist, abgewürgt. Es wäre der Öffentlichkeit wahrscheinlich auch kaum zu vermitteln gewesen, dass eine Räumung mit allen damit verbundenen Kollateralschäden vermeintlich allein deshalb schon notwendig sei, um Löß für die landwirtschaftliche Rekultivierung oder Material z.B. für die vollständige Verfüllung des östlichen Garzweiler Restlochs zu gewinnen.

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